Das Dilemma
Ich werde oft gefragt, welche Einsteigerkamera ich empfehlen würde. Leider ist die Antwort auf diese vermeintlich einfache Frage alles andere als simpel. Eigentlich müsste ich mit diversen Gegenfragen antworten: "Welche Kamera benutzt Du bisher? Was gefällt Dir daran nicht mehr? Soll es wirklich eine Spiegelreflexkamera werden? Warum? Bist Du Dir im Klaren darüber, dass so eine DSLR nicht in die Jackentasche passt? Wie oft und was willst Du fotografieren? Was willst Du ausgeben? Darf es auch eine Gebrauchte sein? Kannst Du Dir Equipment bei einem Kumpel ausleihen? Welche Marke benutzt er (damit seine Objektive auch auf Deine Kamera passen)? Möchtest Du nur knipsen, also hauptsächlich die Automatiken nutzen, oder bist Du bereit, tiefer einzusteigen und "richtig" fotografieren zu lernen?" usw.
Aber kaum jemand hat sich darüber Gedanken gemacht oder nimmt sich die Zeit dafür bzw. hat bisher überhaupt genug Erfahrungen gesammelt, um artikulieren zu können, was die neue Kamera besser machen soll als seine alte. Die meisten sind einfach nur enttäuscht von den Ergebnissen ihres Handys und den "Point and Shot"-Kompaktkameras, die sie bisher genutzt haben. Eine DSLR ist teurer und verspricht allein deshalb schon bessere Fotos (?!). - Nun, die meisten schrecke ich mit meinen Fragen ab. Daher versuche ich hier einfach mal, die Erfahrungen der letzten Jahre aus solchen Gesprächen und meinen Fotokursen zusammenzufassen und eine pauschale Empfehlung abzugeben:
"Immer drauf"-Objektiv mit großem Brennweitenbereich
Wichtiger noch als die Kamera ist das Objektiv, deshalb fange ich damit mal an: Als Einsteiger ist man oft versucht, die Limitierungen des mit der Kamera gekauften Kit-Objektivs (meist ein 18-55mm) durch ein zweites preisgünstiges Objektiv mit langer Brennweite zu überwinden. Meistens landet man dann bei einem 55-300mm Tele-Objektiv. Anfangs ist das toll, weil man nun endlich seine Motive nah genug heranzoomen und sogar freistellen kann. Aber spätestens im ersten Urlaub ist man genervt, weil man eine größere Kameratasche braucht, um beide Objektive mit sich herumzutragen. Hat man erst mal die ersten Objektivwechsel hinter sich, wird es nervig und man wünscht sich, dass man sowohl die kurzen als auch die langen Brennweiten in einem Objektiv zusammenfassen könnte, um das Objektiv dann einfach "immer drauf" lassen zu können. So ist der Begriff der "immer drauf"-Objektive entstanden, die eigentlich "Reiseobjektive" heißen.
Man muss wissen, dass solche Reiseobjektive mit 10fach Zoom und mehr (200mm/18mm = 11fach) bauartbedingt einen Kompromiss darstellen: Festbrennweiten werden immer schärfer und lichtstärker sein, als solche Zoom-Riesen. Dennoch überwiegen die Vorteile und die Ergebnisse sind bei neueren Modellen wirklich gut und genügen nicht nur den Ansprüchen von Anfängern. Daher empfehle ich ein Reiseobjektiv mit einem Brennweitenbereich, der die allermeisten Situationen abdeckt.
Das Sigma 18-300mm f/3.5-6.3 DC Macro OS HSM aus der "Contemporary-Serie" kann ich ruhigen Gewissens empfehlen, da ich es selbst bei meinen Fotokursen als Leihobjektiv einsetze. Der Neupreis liegt aktuell bei rund EUR 400,-. Die Abkürzung "DC" bringt zum Ausdruck, dass dieses Objektiv für Kameras mit dem gebräuchlichen APS-C Sensor gebaut wurde (also nicht für Vollformat-Sensoren). "Macro" bedeutet, dass man auf der 300mm-Einstellung auch Nahaufnahmen machen kann, "OS" ist die Abkürzung für "Optical Stabilizer" (eine Art "Anti-Verwackel-Funktion") und "HSM" steht für "Hypersonic Motor", was bedeutet, dass der Autofokusmotor besonders schnell und leise ist.
Die Kamera
Bei dem Kameragehäuse (auch als "Body" bezeichnet) beziehe ich mich auf den Hersteller Canon. Entsprechende Pendants gibt es aber auch von Nikon, obwohl ich hier das Bedienkonzept und die Menüführung etwas gewöhnungsbedürftig finde. Von anderen Herstellern würde ich als Einsteiger die Finger lassen (Panasonic, Lumix, Olympus, Sony usw.), weil der Markt hier kleiner und spezieller ist. Möchte man später gebrauchte Objektive nachkaufen, ist man bei den "großen" Herstellern Canon und Nikon einfach besser aufgehoben, weil das Angebot viel größer ist. Das gilt auch für den Zubehörmarkt.
Zieht man bei EUR 1.000,- eine Grenze und folgt man meiner Empfehlung für das Objektiv bleiben jetzt noch EUR 660,- für den Body. Die Anfängerkameras von Canon mit den "vierstelligen" Modellbezeichnungen (aktuell "1300D") bekommt man schon für EUR 350,-. Allerdings geht man hier wieder viele Kompromisse in Sachen Bedienkonzept und Zukunftsfähigkeit ein. Deshalb empfehle ich lieber die nächsthöhere "dreistellige" Modellklasse von Canon. Damit wären wir bei der Canon EOS 760D angekommen, die aktuell für EUR 640,- zu haben ist. Anders als bei den anderen "dreistelligen" Modellen, verfügt diese bereits über ein zusätzliches Wahlrad für die Blendeneinstellung auf der Gehäuserückseite und ein zweites kleines Display auf der Oberseite des Gehäuses. Beides sind eigentlich Leistungsmerkmale, die es erst ab den "zweistelligen" Canon-Modellen gibt.
Eine Alternative zu neuen Kameras stellen gebrauchte dar. Daher empfehle ich, bei einem Fotofachhändler eine gebrauchte Kamera zu kaufen, denn hier hat man im Gegensatz zu ebay & Co. eine Gewährleistung von mindestens 6 Monaten, man geht also kein Risiko ein. Der Fachhändler liest einem auch aus, wie viele Auslösungen die Kamera hinter sich hat. Alles unterhalb von 20.000 Klicks ist kein Problem. Die Kameras halten meist 100.000 Spiegelschläge und mehr aus.
Für den Preis einer neuen "Dreistelligen" bekommt man hier eine etwas ältere "Zweitstellige" (z.B. Canon EOS 60D für EUR 450,- oder Canon EOR 70D für EUR 650,-). Das bisherige "einstellige" Top-Modell der APS-C-Kameras von Canon, die Canon EOS 7D ist sogar für rund EUR 500,- gebraucht zu haben.
Ob man also eine neue Canon EOS 760D oder eine gebrauchte Canon EOS 70D oder eine gebrauchte Canon EOS 7D kauft, bleibt preislich fast gleich. Von den "vierstelligen" Anfängerkameras würde ich die Finger lassen.
Welches Modell es denn nun werden soll, würde ich von der Haptik abhängig machen. Fassen Sie die Kameras an, probieren Sie sie beim Händler kurz aus! Sie werden merken, dass die Gehäuse unterschiedlich groß sind, so ist die 7D deutlich wuchtiger als die eher zierliche 760D, die sogar über ein Klappdisplay verfügt, was die 7D nicht hat. Die 7D hat aber ein Magnesiumgehäuse und fühlt sich einfach besser an als die 760D (finde ich jedenfalls). Machen Sie die Kaufentscheidung ruhig davon abhängig, welche der Modelle Ihnen am besten in der Hand liegt und wie sie sich "anfühlt". Schließlich ist es ein Hobby und der Gebrauch der Kamera soll Ihnen Spaß machen! Zusammen mit dem Reiseobjektiv haben sie dann eine hochwertige DSLR-Ausrüstung für unter EUR 1.000,- erworben. Denken Sie noch an eine schnelle Speicherkarte und einen Schutzfilter für das Objektiv.
Weiterführende Links:
Weitere Empfehlungen von mir finden Sie hier.
Blogpost "Für Einsteiger relevante Unterschiede der DSLR-Modellreihen"
Canon EOS 760D
Canon EOS 70D
Canon EOS 7D
Meine hier dargestellten Empfehlungen basieren ausschließlich auf meinen persönlich gemachten Erfahrungen. Hierbei bin ich vollkommen unabhängig. Ich bekomme keinerlei Zuwendungen oder andere Vorteile seitens der Hersteller oder der Händler der hier empfohlenen Produkte.
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Karin (Montag, 04 Juli 2016 06:19)
Hallo Thomas,
beim Lesen Deines Newsletters musste ich lächeln....weil ich vor ein paar Jahren Dir exakt diese Frage gestellt hatte. Damals hattest Du mir eine schöne Zusammenstellung rund um die Canon 600D gelistet. Ich habe diese Ausrüstung heute noch und bin immer noch dabei zu lernen. viele Grüße Karin
Thomas Stephan (Montag, 04 Juli 2016 07:24)
Hallo Karin,
danke für Deinen Kommentar! Schön, dass meine damalige Empfehlung immer noch passt. Wie wäre es mit einem individuellen Fotokurs, um Dich beim Lernen zu unterstützen? Maile mich doch mal an, ich habe noch Termine für Einzelcoachings frei.
Viele Grüße,
Thomas Stephan
von wenigerknipsen.de